five talks #3 – Kai Gondlach, Zukunftsforscher, Leipzig
Es wird in Deutschland immer noch zu wenig ausprobiert
five talks: Wie wird sich im Zuge der Marktveränderungen und der corona-bedingten Einschränkungen die Medienlandschaft in Deutschland verändern?
Kai Gondlach: (lacht etwas süffisant) Ich sehe mich leider in meiner bereits vor Corona kommunizierten, etwas düsteren Prognose bestätigt, dass wir generell mitten in einem großen Massensterben an Unternehmen und ganzen Branchen stehen.
Die Medienbranche als Teil dieser Entwicklung geht leider nicht sehr kreativ mit der Bewältigung der Marktveränderungen um. Zum Beispiel eine Paywall einzuführen, ist zunächst verständlich, aus meiner Sicht aber keine tragfähige Strategie für die Zukunft. Fast noch schlimmer wird es in Zukunft das Fernsehen treffen, ganz nach dem Motto: „YouTube kills the TV-Star“. Das Ganze ist leider ein Angriff auf den Qualitätsjournalismus.
Schimpfen kann jeder, was ist der konstruktive Ausblick?
Gondlach: Ich weiß und es tut mir auch irgendwie leid, dass alle auf „die Medien“ einprügeln. Es ist ein wenig wie beim Fußball oder Corona: Viele schimpfen auf das Management, die Verantwortung will aber keiner übernehmen. Auf der anderen Seite scheint es so, als ob die Verantwortlichen immer noch auf dem Standpunkt stehen, dass es schon so wie jetzt irgendwie weitergeht und für die kurzfristigen Ziele ausreicht. Das ist fatal, es wird immer noch zu wenig ausprobiert, zu viel auf sofortige Wirtschaftlichkeit und „business-as-usual“ getrimmt, also die Auswirkung, nicht die Ursache optimiert.
Im Grunde müsste man das ganze Business auf den Kunden, Leser, Zuschauer bezogen ganz neu aufstellen. Aber es gibt wie immer auch gute Beispiele. Dazu gehört unter anderem – zumindest in meiner Bubble – Die Zeit. Sie hat es geschafft, die Zeit-typischen Inhalte als USP auf vielen Kanälen gut zu monetarisieren.
Deutschland scheint immer noch ein digitales Schwellenland zu sein. Können wir das aus Ihrer Sicht noch aufholen und wie?
Gondlach: Wir könnten aufholen, wollen aber offensichtlich (noch) nicht – wenn man sich allein die geradezu jämmerlichen Versuche anschaut, auch auf dem Land, aber auch in den Städten, in Schulen, Kindergärten etc. eine digitaltaugliche Infrastruktur zu schaffen. Wir sind – auch wenn uns Corona zeigt, wie schlecht wir aufgestellt sind – offenbar immer noch zu satt, auch wenn der ärmere Teil der Bevölkerung mit der Aussage nicht abgebildet ist.
Aus der Gesamttendenz entsteht eine gewisse Innovationsarmut. Das sieht man auch daran, dass der Innovationsgetriebene aus Deutschland sich fast ausschließlich aus englischsprachigen Medien informiert. Auch hier gibt es wie immer Ausnahmen wie zum Beispiel Robotik oder Industrie 4.0, da ist „made in Germany“ noch etwas wert. Es ist und bleibt en vogue, konservativ auf das Tagesgeschäft fokussiert zu agieren, und wo nicht, weiß eine Klage den Funkmast sicher zu verhindern.