five talks-Interview mit Michael Simon, Geschäftsführender Gesellschafter Wochenanzeiger Medien GmbH
Quo vaids – Anzeigenblattverlage?
five talks: Welches Schwerpunktthema hätten Sie gerne auf der nun abgesagten BVDA Frühjahrstagung angesprochen und ist für Sie nach wie vor ungelöst?
Michael Simon: Ich hätte gerne meinen kleinen Vortrag dort unter das Motto „Courage“ gestellt, beschreibt doch dieses wunderschöne Wort sehr präzise, was heute nötiger ist denn je:
„Cor“ und „agere“ – mit Herz(blut) tätig sein …
Schon seit geraumer Zeit haben zunehmend die Excel-Fetischisten den Ton in vielen Häusern vorgegeben. So kann man nicht kochen, geschweige denn publizistisch tätig sein. Bei aller wirtschaftlichen Bedrängnis und ja, die Ergebnisse sind in den einzelnen Häusern wohl wirklich in den vergangenen Jahren zunehmend schlechter geworden, kann die Antwort nicht immer nur „lean management“ sein. Ohne inhaltliche, redaktionelle Qualität – und die gibt es durchaus noch in so einigen Anzeigenblatt-Verlagen – entsteht keine publizistische Relevanz. In einer Zeit, in der es quasi schon ein Überangebot an Informationen gibt, gibt es bei genauerer Betrachtung nur einen Grund, ein Anzeigenblatt aus dem Briefkasten mit auf den Küchentisch zu nehmen: Nämlich handwerklich solide, journalistisch sauber hergestellte Inhalte aus der direkten Umgebung, die beim sog. normalen Bürger von Interesse sind, und die es oft eben auch nur da zu finden gibt. Nur dann sind wir wirklich von Bedeutung auch für unsere Kunden, die eben ihre Werbebotschaft auch genau da platziert haben wollen – inmitten des Haushalts. Immer weniger Platz für derartige Redaktion, immer weniger gut ausgebildete KollegInnen in den Redaktionen sind im Grunde ein Abgesang auf Raten.
Die in der vermeintlichen Not oft eingesetzten Unternehmensberater vergessen bei ihrem Job in den Verlagen oft allzu schnell, dass man Konzepte aus anderen Branchen nur bedingt auf die unsere übertragen kann. Wir sind eben keine Schrauben- oder Matratzen-Fabrik. Unser ganzes Kapital sind engagierte Menschen vor Ort. Deren Arbeit und Leistung können sie weder ins vermeintlich billigere Ausland verlagern noch ohne Auswirkung durch KI (künstliche, und damit eben keine Intelligenz) ersetzen. Wie auch soll uns jemand, der keine Überschrift formulieren kann und nichts von LeserInnen versteht, geschweige denn vom Werbemarkt (des) Handels, den Weg aus der augenscheinlichen Krise zeigen? Wir laufen leider des öfteren den falschen Lotsen nach. Und dass (lokale) Inhalte wichtig sind, zeigt sich gerade in der aktuellen Corona-Krise. Sind das doch die Gründe, dass wir – noch – als systemrelevant eingestuft werden.
Jetzt die Frage der Wahrheit: Wie sind Sie/Anzeigenblatt-Verlage hinsichtlich der digitalen Transformation – nicht nur im Zeichen der Coronavirus-Krise – aufgestellt?
Simon: Eigentlich kann ich mit dem Terminus „Transformation“ fast nichts mehr anfangen. Er erscheint mir mehr und mehr wie ein benutztes Taschentuch; eigentlich will das, gerade jetzt, keiner mehr anlangen. Ich glaube, das hatte vorab schon immer vor allem zwei Gründe:
Erstens, eines unserer Essentials waren immer zwei Faktoren: Wir waren – unbestellt – im Briefkasten und haben genau deshalb als sog. „Push-Medium“ funktioniert. Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als kein Publikumstitel ein Abverkaufsmedium sein wollte. Damals waren alle „Image-Bildner“. Mit dem Einsetzen der Schwierigkeiten in der Print-Branche mutierte allesamt plötzlich zum „Abverkaufsmedium“ – vorbei war‘s mit der Eitelkeit. Manchmal schmecken halt auch Pellkartoffeln, wenn der Kaviar aus ist.
Der zweite Grund liegt in dem Umstand begründet, dass wir Verlage (Anzeigenblätter und Tageszeitungen) dem GAFA-Konstrukt (Google, Amazon, Facebook und Apple) nahezu schutzlos ausgeliefert waren und noch immer sind. Wir sind 1000 Regeln unterworfen, während die Krokodile ohne irgendeine Beschränkung in unseren Gewässern unsere Nahrung verschlangen und weiter verschlingen – noch dazu quasi steuerbefreit. Ich kann mich noch gut an Oettingers Rede in Offenburg erinnern, in der er von der Notwendigkeit sprach, dass man sich hier nur gesamteuropäisch dagegen formieren könne. Das war’s dann auch … wir schaffen es ja noch nicht einmal Kinder von der türkisch-griechischen Grenze in Sicherheit zu bringen.
Von dem Umstand einmal ganz abgesehen, dass genau in den Regionen, in denen beispielsweise die Anzeigenblatt-Zustellung besonders teuer ist, oft noch nicht einmal das Handy funktioniert, wenn Sie einen der Ausfahrer erreichen wollen. ,Viel Glück‘ Transformation, sag ich da bloß. Transformation in the middle of nowhere. Wir verfügen beispielsweise über einen digitalen Briefkasten da schauen die LeserInnen nur nicht so gerne rein. Die wollen die konkrete Zeitung auf Papier und das nicht erst seit das Toilettenpapier ab und an ausverkauft ist.